Christian Bobin – Selbstporträt am Heizkörper
Christian Bobin ist hierzulande, trotz vereinzelter Publikationen in deutscher Übersetzung, eher unbekannt. Er starb 2022 in Frankreich und erhielt posthum den Prix Goncourt de la poésie für sein Lebenswerk. Er erfreute sich gewisser Popularität, im literarischen Betrieb war er allerdings eher eine Randfigur.
Nun kann man mit Selbstporträt am Heizkörper, erschienen 2025 im sisifo-Verlag (Erstpublikation 1997) einen weiteren Einblick in sein Werk gewinnen. Trotz des Untertitels Roman ist es ist weder Prosa noch Poesie, was Bobin hier schreibt. Am ehesten könnte man es beschreiben als das Protokoll eines Ringens um einen poetischen Alltag. Existentielles Profil erlangen die tagebuchartig notierten Beobachtungen und Reflexionen dadurch, dass sie, wie man nach und nach erfährt, die Zeit nach dem Verlust seiner Lebensgefährtin umfassen. Vom ex profundis clamavi zur Lebensfreude. So schreibt sich der Autor zurück ins Leben. Mal grenzt er sich ab von dem Lärm eines falschen Bewusstseins, mal zieht er Vergleiche, mal beschreibt er einen unspektakulären Alltag. Das Buch ist dabei durchzogen von einer gewissen Bescheidenheit und letztlich ein Lobpreis des Schlichten und der Liebe. Dabei gerät er zwar ab und zu ins Sentenzhafte oder allzu Lehrhafte; auch sind seine Vergleiche motivisch selten originell, und er kümmert sich recht wenig um die Forderungen eines ambitionierten Literaturbetriebs – umso erstaunlicher aber ist auf dieser Folio, was dem Autor gelingt: immer wieder Sätze von solcher Gewalt, Eindringlichkeit und überraschender Trefflichkeit, wie sie äußerst selten sind. Vielleicht ist es diese minimalistische Einbettung, diese meditative Konzentration auf sich selbst und das Nächste in Verbindung mit einer gewissen Widerständigkeit gegen Tand und Prätention, die einige Sätze geradezu ins Mark schneiden lassen. So treiben wir mit dem Autor durch die Tage, und die Dinge beginnen zu leuchten. Das wirft einmal mehr die Frage danach auf, was eigentlich Literatur ist. Dass Bobin Manches redundant gerät oder etwas nahe am Kitsch – spielt das dann überhaupt noch eine Rolle? Wer könnte das eigentlich festlegen? Möglicherweise ist die eigentliche Sünde der Literatur die Ambition? Jedenfalls bleibt einem nach der Lektüre ein wundervoller asketisch-hoffnungsvoller Impuls.
Bedauerlich ist allein, dass die Publikation voller Druckfehler ist, es fehlen offensichtlich sogar mehrfach ganze Wörter. Das ist untypisch für den verdienstvollen Verlag, dem desungeachtet eine kleine Entdeckung gelungen ist.
Christian Bobin: Selbstporträt am Heizkörper. Roman. Aus dem Französischen von Stefanie Golisch. sifiso/Leipziger Literaturverlag, Leipzig 2025. 133 S., br., 19,95 €.