Ruhrpottmurmelei außerhalb der Geschäftszeiten
Zu Kaschk. Zettelei von Arnold Maxwill
Zettelei – was soll das sein? „Ein Schreiben im Schweigen. Auftritt der Zwischenzeit. Notate aus Zügen, Notizen des Alltags. Was passiert, wenn die poetische Produktion stagniert? Wie kommt der Sprachmotor ins Laufen? Und wie der sonstige Trubel zum Stillstand? Eine Mitschrift aus inneren und äußeren Provinzen“: so heißt es auf der Verlagswebsite zu Arnold Maxwills vierter Einzelveröffentlichung, nach Raumsch, KW und Noir.
Zwischen Mai 2021, also noch zur Coronazeit, und April 2024 entstanden, bündelt das Buch Loses. Möglich, dass der Titel Kaschk auf den getrockneten Joghurt in der syrischen, libanesischen, persischen Küche anspielt, der zu einem Brei gekocht wird und zusammen mit Gemüse, das in anderen Töpfen brutschelt, auf den Tisch kommt. Dann wäre er vielleicht zu lesen als: etwas Zusammengekochtes. Oder man bleibt bei der Idee der getrockneten Joghurtmasse. Dann wäre es ein Nebenbild zu den Brühwürfeln – als solche umschrieb ein Leser Maxwills Texte. Thematisch ist das Buch nicht scharf umrissen, es lässt Offenheiten zu. Der Autor warnt sogar: „Produkthinweis: dies sind nur bedingt optimierte Texte.“ Er macht sich so als Teil eines Warensystems kenntlich, das auf ein besseres, optimiertes Erzeugnis hin angelegt ist und nimmt dazu bewusst eine widerständige Schreibhaltung ein.
Dazu passt, dass er die Rückseiten oder Arbeitsräume des Kapitalismus betrachtet. Als roter Faden zieht sich ein vierzehnteiliger Zyklus durch Kaschk, der den geographischen und soziologischen Ort Ruhr in prägnanten Sätzen zu fassen sucht, jeweils beginnend mit: „Ruhr ist“.
Die ersten zehn dieser Gedichte folgen jeweils nach vier Seiten Zettelei, die verbleibenden vier stehen wiederum sechs Seiten auseinander und bilden so ein den Band rhythmisierendes Element.
Ruhr ist Kettenhemd und Dingenskirchen.
Ruhr ist ein Netz von Überresten.
Ruhr ist Kusselkopp mit Nesrin und Kiara.
Ruhr ist der dicke Knubbel vor Köln.
Diese Liebeserklärung an eine arg gebeutelte Region Westdeutschlands ist ganz wunderbar, wie die kleine Stichprobe aus dem achten, fünften, vierzehnten und siebenten Gedicht bereits andeutet. Das Ruhrgebiet ist auch sonst Spielraum von Kaschk, das fängt schon mit dem Epigraph an: „Die Bramme rattert an mir vorbei;/ sie glüht noch, sie glüht mächtig.“ Die Bramme, „Halbzeug“, Vormaterial, das erste „Walzformat aus dem Rohblock bei der Herstellung von Blechen“, so die lexikalische Erklärung, verweist auf die ehemalige Industriezone mit ihren Hochöfen und Kokereien.
Thematisch ist Kaschk aber breiter gefächert. Der Büroalltag als „Textverarbeitungssöldner“ wird gestreift, Fahrplanunregelmäßigkeiten im heruntergewirtschafteten öffentlichen Nahverkehr beklagt, von denen der Bahnpendler ein Lied zu singen weiß („Heilige Johanna der Infrastruktur, lass mich nicht allein in dieser zugigen Kälte“), O-Töne notiert („Moment, du bist doch jetzt die Mama?!?“), und die eigene Person eher unfreundlich gezeichnet: „Fresse wie nichts Gutes“, „Motzfresse“, „Griesgram“.
Maxwill kritisiert eine „Fördermaschinerie“, die offene Arme vorgaukelt; er zitiert als typische Leserreaktion: „[E]s hat mir gut gefallen, aber ich habe nichts verstanden“, und seine Erwiderung hinsichtlich vermuteter Tippfehler: „[N]ein, das ist kein Fehler, keine Nachlässigkeit.“ (Die spröden, dicht gefügten Maxwill'schen Gedichte mit ihren suggestiven Neologismen und Verfremdungen könnten eine KI zum Durchglühen bringen.)
Reizvoll die Überlegungen zum eigenen Schreiben, zuweilen im Vergleich mit anderen Schriftstellern: „H. will immer leserfeindlicher werden, das ist sein Programm“; knapp gehalten, bilden sie keine ausbuchstabierte Poetik und zeigen doch eine klare Richtung an, die dem Spontanen, Improvisierten, Unauflösbaren Raum lässt, so wie das Kind neugierig in den Kochtopf schaut, um zu erfahren, ob es etwas Gutes zum Essen geben wird.
„Ich möchte meinen Texten gegenüber ein Töpfegucker bleiben. Wie der zweite Satz lauten soll, überlege ich mir noch.“
Kaschk ist idiomatisch klar dem Ruhrgebiet verbunden, weist jedoch ebenso eigentümliche, aus dem Gedichtband Raumsch vertraute, Wortprägungen wie „schrümm“ oder „schluff“, „Wusche“ oder „Pleim“ auf, von denen sich kaum sagen lässt, was sie bedeuten, die aber als Sprachfärbung und -körnung keiner Übersetzung bedürfen; auch niederrheinische Reminiszenzen kommen vor: „Dat gildet nich […] Lass mich doch, du Eierloch.“ (Kursivierung Arnold Maxwill)
Die schöpferische Nähe zur Alltagssprache ist ein Gegenentwurf zu einem vornehmlich aus Lektüre gewonnenen Schreibstil und hält die Texte lesbar und frisch. Dies gilt in gleichem Maße für die fragmentarische Form oder Listenhaftigkeit, die in Kaschk vorherrschend ist, wie auch für Witz und Humor, die den Notaten, versteckt oder offen, beigemischt sind.
Eine Stärke dieser Zettelei liegt darin, dass sie überhaupt nicht kompetitiv auftritt; ihr Gestus ist der eines störrisch-angelegentlichen Frickelns mit Kunst (als „Schreibseln“ apostrophiert es, tiefstapelnd, Maxwill selbst, und meldet im gleichen Atemzug „mehr Raumbedarf“ dafür an). Er wolle sein Schreiben „frei von jedem Geschäft“ halten, gibt der Autor zu Protokoll.
Möglich, dass Arnold Maxwill mit Kaschk, diesem Mittelding aus Lyrik und Prosa, das ihn aus einer Schreibkrise führen sollte, nicht viel mehr erreichen wollte, als beim Schreiben zu bleiben, ganz elementar. Möglich, dass es ihm nicht darum zu tun war, Kunststücke zu vollbringen; „ein knapper fixierender Griff ins Murmeln“ – das erstmal, und gut.
Doch über das bescheidene Ansinnen hinausreichend gibt Kaschk zugleich ein sprachlich vermitteltes Abbild des Lebens im Ruhrgebiet, dem er nicht bloß durch seinen Wohnsitz in Dortmund verbunden ist, sondern auch als Herausgeber von Arbeiter- und Bergarbeiterdichtung.